Im Langhe Monferrato Roero tut sich was und viele Kunstformen verweben sich. Und wer nicht selbst Kunst erzeugt, der hütet und verbreitet sie.
Es gab eine Zeit, in der mir alles gefiel, was antik war. Ich organisierte Wochenenden an Orten, wo Antiquitätenmärkte stattfanden. Auf einem jener Märkte lernte ich Luca kennen, der auch auf der Suche nach seltenen Stücken aus längst vergangenen Zeiten war. Liebe auf den ersten Blick und als Kuppler fungierte das Schreibpult aus dem 19. Jahrhundert und wer es mit Intarsien verziert hatte! Wir kauften es nicht, aber ein Antiquitätenmarkt folgte auf den anderen… und schließlich heirateten wir. Mit der Ehe änderte sich vieles, vor allem unsere Vorlieben und eines schönen Tages entdeckten wir, dass uns Antiquitäten und Vintage nicht mehr interessierten, sondern das Moderne, das Zeitgenössische und das Design. Wir gingen nicht mehr auf Antiquitätenmärkte, zumindest nicht mehr so häufig, und wir widmeten unsere Freizeit den Ausstellungen, Museen und künstlerischen Kostbarkeiten, auf die wir entweder zufällig trafen oder über die wir in Fachzeitschriften gelesen hatten.
Und so kamen wir nach Asti, indem wir jeder Ausdrucksform von Künstlern wie De Chirico, Dalí, Ernst, Kandinsky und Klee folgten. Wie, gleich alle auf einmal?
Ja, genau, wir haben sie alle an einem magischen Ort gefunden: eine Werkstatt, die die Meisterwerke großer Maler in Wandteppiche verwandelt und das alles mit uralten, über Jahrhunderte unveränderten Techniken. Die Webstühle mit hoher Litze, an denen sich flink die Hände der Webmeisterinnen bewegen, sind beeindruckend und die reproduzierten Werke schöpfen Faden um Faden aus der modernen darstellenden Kunst. Dieses Aufeinandertreffen erzeugt eine ästhetische Erhebung, die international anerkannt ist. Es hat sich uns eine Welt eröffnet! In unserer Vorstellung war diese Gegend mit großartigen Erfahrungen in Bezug auf Speis und Trank verbunden, aber die Entdeckung der Gobelinmanufaktur, der Arazzeria, hat uns dazu gebracht, Täler und Höhen nach weiteren künstlerischen Köstlichkeiten abzusuchen, um Geist und Seele zu nähren. Wir haben sehr viele gefunden und jedes Mal, wenn wir zurückkehren, entdecken wir weitere.
Wir kommen nun schon seit drei Jahren hierher, immer an den Wochenenden, manchmal hängen wir auch ein paar Tage dran. Unsere Arbeit beschäftigt uns sehr und wir können nur kurze Pausen einlegen.
Wir fangen an zu planen, wenn wir erfahren, dass in Alba oder Asti eine Kunstausstellung von internationalem Rang stattfindet. Dort starten wir und dann… dann verlieren wir uns und ziehen umher, von Norden nach Süden, vom Basso Monferrato in die Alta Langa. Und so entdeckt man in diesen Hügeln Ateliers junger Künstler und sieht sie zu Werke gehen, vielversprechende Schöpfer des Schönen, die schon an den unterschiedlichsten Orten ausgestellt haben, aber die Harmonie dieser Landschaften hier wählten, um zu schaffen und zu leben. Ich glaube, dass genau diese Umgebung für die Inspiration eine grundlegende Rolle spielt. Diese Dörfern sind echt, hier herrscht ein Lebensstil längst vergangener Zeiten vor, hier kennt man sich und man hat tatsächlich das Gefühl, integrierender Bestandteil einer Gemeinschaft zu sein. Erst jetzt begreife ich mit allen Sinnen die Bedeutung der Worte von Cesare Pavese „Ein Dorf bedeutet, nicht allein zu sein, zu wissen, dass in den Menschen, in den Pflanzen, in der Erde etwas von dir ist, das bleibt, auch wenn du nicht da bist, und auf dich wartet. Aber es ist nicht leicht, in Ruhe dort zu leben“, allein durch das Erleben und Eintauchen in diese Atmosphäre. Und dieses „aber es ist nicht leicht, in Ruhe dort zu leben“, Vermächtnis jugendlicher Lektüre, hallte in meinem tiefsten Innern wider, als ich einige der Künstler kennen lernte.
Hier tut sich wirklich was, Kunstformen verweben sich (Malerei, Bildhauerei, Musik, Theater und Fotografie) und wer nicht selbst Kunst erzeugt, der hütet und verbreitet sie, macht sie zugänglich für all jene, die vorbeikommen. Sie verschmilzt mit der Landschaft und den Weinbergen.
Daher erstaunt es nicht, wenn man vielfältige Ausdrücke der Land Art, antrifft, Open-Air-Galerien, Kulturparks, Wandmalereien und Installationen, die alle mit dem – manchmal unbewussten – Ziel geschaffen wurden, diese Orte aufzuwerten und ihre Atmosphäre auf nachhaltige und zugleich mitreißende Weise unverändert zu erhalten. Kunst und Design finden sich hier fast überall: in kleinen Dorfmuseen, aber auch in Restaurants, Hotels (einige sind Boutique Hotels, andere sind Kunstwerkstätten, die Übernachtungsmöglichkeiten bieten) und sogar in den Weinkellern, der hoch geschätzten „Architektur des Weins“, wo wir die Weine verkosteten, die diese Gegend berühmt gemacht haben.
Was für eine Überraschung, als ich festgestellt habe, dass der Fotograf, der meine Lieblingssängerin Kate Bush verewigt hat, hier lebt und arbeitet! Und als ich beim Spazierengehen auf eines der Werke von David Tremlett stieß! Auch er liebt wie wir das Langhe Monferrato Roero so sehr, dass er immer neue Gelegenheiten findet, um hierher zu kommen, und so hat er schon vier kleine Kirchen in regelrechte Schmuckstücke verwandelt. Ein Mix aus schreienden Farben und geometrischen Formen heben diese Kirchlein von ihrer Umgebung ab und dennoch stehen sie mit ihr im Einklang.
Es tut sich was in diesen Hügeln, es gibt Liebe und Leidenschaft, Kreativität und Bewusstsein derer, die wie Pavese wissen: „Ein Dorf braucht man“.
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